2019_10_15 Im Mittelalter

Der Tag beginnt mit einer Stadtführung in Englisch, welche wir mit Führerin Irina machen. Das Wetter ist schön, aber kalt, doch scheint die Sonne bis gegen den Nachmittag. Wir erfahren von Irinia vieles aus der Geschichte und zu den zahlreichen, gut erhaltenen mittelalterlichen Gebäuden und Kirchen. Von den Kirchen sind zwar nur noch wenige in Gebrauch, während der kommunistischen Besetzung hat sich die Kultur des Christentums weitgehend verloren, heute bekennen sich nicht mal mehr ein Drittel der Bewohner zum Christentum (vor allem Lutheraner und Orthodoxe). Von der Stadtmauer sind noch grössere Teile erhalten, auch die Mehrzahl der Türme steht noch.

Wir nehmen unter anderem auch einen Augenschein in der rund 600-jährigen Apotheke, welche immer noch als solche funktioniert, allerdings mit modernen Medikamenten und nicht mehr mit pulversierten Schlangen oder geraspeltem Igel... Die Wirksamkeit dürfte heute auch entsprechend besser sein. Nach dem geführten Stadtrundgang genehmigen wir uns einen tallinnischen Kafi-Schnaps mit Stückli in einem renommierten alten Kaffee MMajasmokk seit 1864.



Wir besichtigen auch die älteste erhaltene Kirche, welche seit 1525 lutheranisch ist und zahlreiche Bilder und Fenstermalereien auweist, welche zwar nicht aus der Entstehungszeit stammen (ca 1300), aber doch immerhin rund 400-jährig sind.

Anschliessend gehen wir ins estnische historische Museum und erfahren viel über die Geschichte des Landes. Nach der Eroberung durch die Dänen im Jahre 1219 wurde das Land an die Deutschen abgetreten, welche anschliessend bis 1919 die Oberschicht bildeten. Dies blieb auch so während der schwedischen und anschliessend russischen Okkupation. Die deutschstämmige und die estnischstämmige Bevölkerung mischte sich nie, von der 700-jährigen deutschen Geschichte zeugen heute allerdings nur noch Namen - nach dem 2. WK mussten die Deutschen abziehen. Ab 1991 wurden die Besitztümer allerdings wieder an die deutschen Eigentümer zurückgegeben. Die Besitzer wohnen allerdings kaum mehr hier, sondern vermieten die Liegenschaften und investieren leider wenig in den Erhalt derselben.



Das Land war 1919 bis 1941 und nun erst seit 1991 eigenständig; all die Jahre war es unter dänischer, deutscher, schwedischer oder eben russischer Bevormundung. Es fehlt deshalb an Erfahrung in einer demokratischen Ordnung, wohl mit ein Grund, dass man sich baldmöglichst der EU an die Brust warf (2004). Da erscheint einem die ab 1291 erreichte Unabhängigkeit der Schweiz (bekanntlich Dank diversen Schlachten, Zufällen und auch einigem Glück...) in einem völlig anderen Licht - wir sollten viel mehr schätzen, was wir mit unserer Freiheit haben. Nach der Loslösung von Russland ab 1991 kamen schwierige Zeiten für die Esten, weil die Schwerindustrie und auch die landwirtschaftlichen Exporte zusammenbrachen. Heute lebt das Land vor allem vom Tourismus (in Tallinn jährlich 4 Mio Besucher, insbesondere April bis September) und von der Innovation im IT-Bereich. Die Staatsquote ist sehr hoch, die Mehrwertsteuer 20 %, dafür ist medizinische Versorgung und der öV für die Einheimischen gratis. In den Seitengassen, ab vom Touristenrummel, sieht es leider ziemlich schitter aus, etliche Häuser hätten dringenden Renovationsbedarf, offensichtlich aber ist das Geld dafür nicht vorhanden (oder die Besitzer leben im Ausland und kümmern sich eben nicht darum). Insgesamt aber haben wir einen guten Eindruck von dieser sehenswerten Stadt, welche sich zumeist sehr gastfreundlich präsentiert.





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